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Kern und aus einer Schale, die den Kern überzieht, um ihn zu schützen.
Außer der groben, äußern, härtern Schale, die den zarten Kern vor
allen Verletzungen behüten muß, liegt zwischen ihr und dem Kern noch
eine feine, dünne Haut, damit die feste Schale den Kern nicht drücken
möge. So hüllt eine liebende Mutter ihr zartes Kind in mehrere
Tücher ein, um es zu schonen, und legt die feinsten Tücher gern zu-
nächst um des Kindes Glieder. Welche Fürsorge des Schöpfers für
das Allerkleinste in seiner Natur! Wie manche Eltern haben für ihre
eigenen Kinder und deren Gesundheit nicht so viel Sorgfalt, e,ls Gott
für das Leben des lleinsten, oft kaum dem Auge sichtbaren Samenkorns
der gemeinsten Pflanze. Aber auch das Innere des Samenkörnleins
ist merkwürdig. Man entdeckt darin einen kleinen Punkt, der erhaben
ist. Man nennt ihn das Herzchen; es ist der Keim der künftigen
Pflanze, der erste Anfang zum Kornhalm oder zum Eichbaum. Selbst
also auch die mehligen Theile sind nur eine Hülle; sie dienen dem
jungen Keim als erste Nahrung, so lange er, nicht hervorgetrieben,
noch keine Wurzeln und Blätter gebildet hat, um Nahrung aus Luft
und Erde einzusaugen. Sie sind dem jungen Pflanzcnkinde gleichsam
die erste Muttermilch, durch welche es erhalten wird, bis es fähig ist,
stärkere Kost zu genießen. — Wenn nun im Frühjahre die Strahlen
der Sonne den aufgethauten Erdboden durchwärmen, regt sich der
wohlverwahrte Keim und schwillt von der Nahrung, daß die ihn um-
gebende Schale zerplatzt und er hervordringen kann. Die Kraft, welche
dieser schwache Keim hat, ist erstaunenswürdig, indem er den Kern an-
schwellt. Wenn man ein Gewicht von hundert und fünfzig Pfund auf
Erbsen legt, die man durch Anfeuchtung zum Keimen lockt, so wird
das Gewicht durch das Schwellen der Erbsen bewegt, und der Keim
dringt hervor! Woher diese außerordentliche Stärke? Wie kann solche
Kraft in einem so zarten Keime wohnen, den der Finger eines Kindes
zerstört? — Der scharfsinnigste Künstler auf Erden und der gewaltigste
der Fürsten, dessen Winken Millionen gehorchen, können sie ein einziges
Samenkorn machen? —
45, Die Pflanzen und das Licht.
Die Pflanze hat ein wesentliches Verhältniß zum Lichte.
Das Licht giebt den Pflanzen vorzugsweise die Mannigfaltigkeit und die
reine Ausbildung ihrer Farben und ihres Glanzes. Sie bekommen am
Licht erst Saft und ein kräftiges, selbstständiges Leben. Ohne Licht werden
sie wohl größer, aber bleiben geschmack-, färb- und geruchlos. Sie
kehren sich daher dem Lichte zu. Kartoffelpflanzen, die in einem Keller
ausschlagen, kriechen von entfernten Punkten, viele Meter weit, auf dem
Boden nach der Seite zu, wo ein Lichtloch ist, und ranken sich, als
ob sie dm Weg wüßten, an der Mauer hinauf, um die Öffnung zu
erreichen, wo sie des Lichtes genießen können. Die Sonnenblumen und
eine Menge anderer Blumen richten sich nach der Bewegung der Sonne
am Himmel und drehen sich nach ihr hin. Abends, wenn man von
125
der Morgenseite auf eine blumenreiche Wiese tritt, sieht man wenige,
vielleicht keine Blumen, weil alle der Sonne zugewendet sind; von der
Alendseite prangt dann alles voller Blüthen. Auch am Morgen auf
der Wiese, wenn es früh ist, sieht man von Morgen kommend, keine
Blumen; erst wenn die Sonne wirkt, kehren sie sich gegen Morgen.
Einige öffnen sich der Sonne erst um 12 Uhr Mittags, einige öffnen
sich nur bei Nacht, wie die prächtige Fackeldistel, die nur wenige
Stunden blüht.
I. Bäume.
46♦ Der Apfelbaum.
Gewiß, der Apfelbaum ist uns wohl der nützlichste von allen
Obftbäumen, und seine Gestalt ist ansprechend. Über dem starken
Stamme breitet sich die Krone lustig aus, und auch seine Blätter haben
eine angenehme Form. Im Frühlinge sehen wir ihn in seiner ersten
Herrlichkeit vor uns aufgestellt. Ist er dann nicht einem großen Rosen-
stocke zu vergleichen, woran Knospe an Knospe sich schmiegt? Denkt
euch den Baum dagegen, wie er noch zu Anfang des April erschien!
Da stand er kahl, seine Äste wie todte Balken, seine Zweige wie dürre
Reiser. Brachen wir eine Knospe ab, so war sie unansehnlich, wie
ein zusammengerolltes Kügelchen von grünem und gelbem Stoffe, woraus
nimmer das zu werden schien, was wir jetzt v?r uns sehen. Hat sich
aber das Knöspchen entwickelt, so ist die braune Hülle auch abgefallen;
zartere, grüne Blättchen sind nun die Hülle der Blüthen, welche oft
noch schüchtern hervorschauen und mildere Lüfte erwarten, um sich ganz
zu erschließen. Diese in der Enthüllung begriffenen Knospen sind an-
muthiger, die bereits entfalteten aber herrlicher. Jene, mit dem Grün
der Hoffnung umhüllt, sagen uns: Bald wird's erscheinen, und wir
wünschen und hoffen; — diese sagen uns: Es ist erschienen, und wir
rufen erfreut: O wie herrlich!
Aber aus der Pracht soll der Segen hervorgehen; darum ver-
schwindet sie nach kurzer Zeit. Seht, schon fallen die Blüthenblättchea
nieder, wenn geflügelte Sänger nur durch ihre geschmückten
Festhallen durchschlüpfen! Bald werden sanfte Lüfte, die uns jetzt den
Blüthenduft zuwehen, die Blüthenblättchen selbst mit fortführen und auf
den grünen Nasen streuen. Eine Zeit lang bleibt uns dann nur der
Baum mit seinen frischen grünen Blättern als Hoffnungszeichen;
aber hernach kommt die Zeit der schönsten Erfüllung. Allmählich
färben sich die aus dem Laube hervorblickenden Äpfel, sie werden größer
und schöner; endlich neigen sich schwerbeladen die Äste und Zweige.
Die Blüthen waren unzählig, und wer übersieht die Fülle der Früchte:
Hätten aber alle Blüthen Früchte gebracht, der Baum hätte seine Last
nicht tragen können und hätte brechen müffen. Wie weise und gut!
Und glänzt die Herbstsonne auf den Äpfeln, und haben sie lange genug
getrunken den kühlen Morgenthau, dann strecken wir gern die Hände
127
Hand der Mutter im Garten spazieren. Sie standen endlich vor einem
Spaliere, an welches der Vater viel herrliche Bäumchen gepflanzt hatte,
die jetzt ihre ersten Früchte trugen.
§. L Als sie noch standen und sich des schönen Anblicks freuten,
kam ein Bote und brachte ein versiegeltes Schreiben. Hastig griff die
Mitter darnach und rief erfreut: „Kinder, es ist die Hand des Vaters,
hört, was er schreibt!"
Und der Vater hatte geschrieben, wie er noch gesund sei, auch
bald kommen werde und wünsche, alle seine Lieben gesund wieder zu
sehen. Endlich befahl er den Kindern artig zu sein, und besonders
die Früchte der Bäumchen, vor denen ste zufällig gerade standen, un-
berührt zu lassen, damit er später sehen könne, von welcher Art sie sein
möchten. Die Knaben versprachen der Mutter, dem Gebote des Vaters
Folge zu leisten.
§. 5. Da kam aber einst der Sohn des Nachbars, ein böser Bube,
und beredete Wilhelm also, daß sie in den Garten gingen und voll
Naschbegier die Bäumchen allzumal ihrer noch nicht völlig gereisten
Früchte beraubten. Aber als die That geschehen war, da sah Wilhelm
erst ein, wie sehr er gesündigt, weinte und wünschte sie nicht vollbracht
zu haben. — Der Sommer ging zu Ende, und der Vater kehrte wieder.
Die ganze Familie freute sich; Wilhelm aber ging ihm schüchtern ent-
gegen und schlug das Auge zu Boden, denn seine Sünde lastete auf
ihm. Er konnte dem Vater nicht froh ins Angesicht sehen.
§. 6. Und als der Heimgekehrte am andern Tage auspackte und
jeglichem seiner Kinder ein mitgebrachtes Geschenk gab, da jauchzten
alle, nur Wilhelm sah vor sich nieder und weinte; alle waren fröh-
licher als er. Der Vater aber fragte: Wilhelm, warum weinest du?
Und der Knabe antwortete: Ach, mein Vater, ich bin deiner Liebe nicht
werth, ich bin ungehorsam gegen dein Gebot gewesen, denn siehe, ich
habe doch deinen Bäumchen die Früchte geraubt! Deine Reue versöhnt
mich, sagte der Vater und hob den Sohn ans Herz; ich verzeihe dir,
aber folge mir in den Garten!
§. 7. Und er führte den Knaben zu jenen Bäumchen, welche er
an den Geburtstagen seiner Kinder gepflanzt hatte. Siehe, da war
das eine größer geworden, hatte einen stärkern Stamm, denn das an-
dere, und hing wieder voll schöner Früchte. Das andere aber, was
Wilhelm gehörte, war klein geblieben, verwachsen und stand kahl und
traurig da. Ringsum hatten nämlich Nesseln, Schlingpflanzen und an-
deres Unkraut gewuchert und dem Bäumchen die beste Kraft zum Wachs-
thum entzogen. So war es das kleinste geblieben. Warum, mein
Sohn, fragte jetzt der Vater, giebt dein Bäumchen keine Frucht und
steht so traurig da? —
§. 8. Der Sohn schlug die Augen zur Erde, Nöthe deckte seine
Wangen, und er sprach: „Das Unkraut trägt die Schuld." — Also
verderben böse Gesellschaften die guten Sitten, redete ernst
der Vater; möchtest du, mein Sohn, nie wieder vergessen, was dich
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm
129
ausgebreitet lag, er lagert nun auf den hohen Kronen der Bäume, und
ich werde sein nicht mehr gewahr. Kühler, dunkeler Schatten umgiebt
mich in unabsehbarer Weite, und über meinem Haupte rauscht es überall
und ohne Unterlaß in den beweglichen Blättern. Aber regungslos und
fest stehen die Stämme der Eichen gesellig neben einander. Weit hin
hat jede die kräftig geschwollenen Äste ausgebreitet, und auch diese ge-
waltigen Arme bleiben regungslos ausgestreckt, als kümmere sie nicht
das rauschende Spiel ihrer statternden Blätter. Es muß schon manches
Jahrhundert in diesem Götterhaine der alten Deutschen gerauscht
haben, denn mit dunklem Moose haben sich die Zweige bedeckt; selbst
in die tiefen Risse der Stämme hat es sich eingenistet. —
Vor Zeiten saßen in dem heiligen Dunkel eines solchen Eschenwaldes
die Priesterinnen unserer Väter und lauschten dem prophetischen
Rauschen der Blätter, um der harrenden Menge den Ausspruch der
Götter zu verkünden. Hier barg man auch die geweiheten Fahnen
und holte sie mit Ehrfurcht hervor, wenn sie die tapferen Männer in
die blutige Schlacht führen sollten. Ein Kranz von Eichenlaub krönte
den Helden, wenn er siegreich aus der Schlacht wieder heimwärts zog;
und wollten unsere riesigen Väter über Krieg und Frieden sich berathen,
so versammelten sie sich nicht zwischen den vier Wänden eines engen
Hauses, sondern kamen in dem unabsehbaren Säulensaale eines Eichen-
waldes zusammen, und ein kräftiger Lanzenschlag an das große Schild,
das jeglicher bei sich trug, war das Ja und die Antwort auf die Rede
ihres Führers. Schon lange ist dieses Geschlecht aus den Wäldern
geschwunden, aber noch heute, wie sonst, hebet mit kräftigem Wuchs
die Eiche ihr Haupt frei in die Höhe, daß es dem Wanderer ist, als
wandle er durch eine Versammlung von ehrwürdigen Männern hindurch,
die beharrlich den Anfang eines Jahrhunderts sechsmal begrüßten, ohne
daß ihr Haupt von der Last des Alters sich senkte.
Betrachten wir eine Eiche, so erscheint sie uns, ausgewachsen, als
ein das Gepräge der Kraft tragender Baum, von meistens verhältniß-
mäßig dickem und kurzem Stamme, bedeckt mit starker, rissiger Müde,
von dicken, knorrigen, unregelmäßig vertheillen Ästen und frischem, dunkel-
grünem, ziemlich gleichförmig vertheiltem Laube. Die Eiche scheint auf
unserm Boden einheimisch zu sein und bildet da einen Hauptbestandtheil
unserer Wälder; doch ist sie nicht so häufig, als an einigen Orten die
Buche und an anderen das Nadelholz, vielleicht weil sie im Ganzen
einen besseren Boden liebt, als diese beiden. Sie wächst sehr langsam
und braucht einige Jahrhunderte, um den' gewaltigen Umfang und die
ansehnliche Höhe zu erreichen, die wir oft an dieser Baumart bewundern.
Ungefähr eine ähnliche Zeit giebt man ihr zum allmählichen Vergehen,
welches sich unter andern oft durch Hohlwerden ankündigt. Blumen
und Blätter brechen in hiesiger Gegend im Lause des Monats Mai,
bald früher, ball» später, je nachdem der Frühling ist, hervor. Die
Eiche gehört zu den Bäumen, die erst spät grün werden; doch unter-
scheidet sich hier die Stieleiche von der gemeinen Eiche, indem sie
Haesters' Lesebuch für Oberkl. Slmnltan-Ausgabe. g
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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die Nahrung ihm reichlicher zugeströmt ist, als nach der linken. Vielleicht
hat der Todte, der jetzt am Wege liegt, einst am Saume eines Wal-
des gestanden; vom Walde, wo er mit vielen seiner Brüder die Nahrung
zu theilen hatte, konnte ihm nicht so viel gespendet werden, als von der
Waldwiese. Doch ich sehe an meinem Stamme, daß nur die erste
Hälfte seines Lebens diese Erscheinung bietet, die zweite Hälfte hat
die Jahresringe ringsherum gleichmäßig stark angesetzt. Wahrscheinlich
sind seine Nachbarn früher gefällt als er; ihn, als einen Spätling, hat
man noch eine Zeit lang stehen lassen.
52. Die Bäume.
Ich hab' die Bäume gar zu gerne Wenn in des Mittags heißer Schwüle
Und freu' mich ihrer wie ein Kind, Des Mannes Kraft ermattet sinkt,
Weil ich aus ihrem Treiben lerne, So ist's der Bäume Schattenkühle,
Daß sie des Menschen Freunde sind. Die liebevoll zur Rast ihm winkt.
Den Knaben schon erfüllt's mit Wonne, Und wenn der Greis für seinen Jammer
Sein Herz und Auge lacht entzückt, Im Winter Trost und Hülfe sucht,
Wenn in des jungen Lenzes Sonne So wärmen Bäume seine Kammer
Der Baum mit Blüthenschnee sich schnmckt. Und nähren ihn mit ihrer Frucht.
Und sieht der Jüngling oft betroffen Sinkt dann am Schluß der Erdenträume
Auf seiner Bahn das Glück entflieh'n, Der Müde zur ersehnten Ruh',
So zeigt der Baum auf neues Hoffen So senden ihm die guten Bäume
Mit seinen grünen Armen hin. Sechs Bretter für sein Bettchen zu.
Und liegt er endlich längst vergessen
Im Stübchen unterm Rasendach,
Dann weinen Weiden und Cypressen
Ihm noch so manche Thräne nach.
(Zusner.)
Ii. Sträucher.
55. Der Johannisbeerstrauch.
Gewiß, der Johannisbeerstrauch ist mir der liebste unter allen
Sträuchern. Er breitet sich buschig aus, und seine langgestreckten Blätter
haben eine sehr angenehme Form. Schon Ende Aprils sehen wir ihn
in seiner ersten Herrlichkeit. An langen Stielen hangen dann die kleinen,
gelben Blüthen, wie die Beeren an der Weintraube. Denkt euch den
Strauch dagegen, wie er noch im März erschien. Da stand er kahl,
seine Äste und Zweige wie todte Ruthen.
Wie die Blätter größer werden und wachsen, so entwickeln sich auch
bald aus den Blüthen die Früchte. Eine Zeit lang bleibt uns dann
der Strauch mit seinen großen grünen Blättern und dm irr Trauben
hangenden, grünen Beeren als Hoffnungszeichen; aber hernach kommt die
Zeit der schönsten Erfüllung. Allmählich färben sich die aus dem Laube
hervorblinkenden grünen Trauben, die Beeren werden röthlich, größer
und schöner, endlich neigen sich schwerbeladen die schwächeren Zweige.
Welche Fülle der Früchte! Und wmn Johanni kommt, dann
strecken wir Kinder gerne die Hände nach erquickenden Gaben aus.
Wir pflücken mit Wonne die weinsäuerlich schmeckenden Beeren, welche
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gleichsam sagen: Uns hat Allmacht und Weisheit geboren, und Liebe
spendet uns aus.
Hat so der Strauch seine Gaben dargereicht, dann verkünden einige
Monate darauf seine gelben und braunen Blätter uns sein Einschlafen.
Sie fallen zur Erde und düngen den Boden, sttts welchem der Strauch
fürs kommende Frühjahr neue Kraft zieht.
Ja, der Johannisbeerstrauch ist schön! Er prangt zwar nicht mit
duftenden, prachtvollen Blüthen, wie der Rosenstock; aber dennoch ge-
währen seine Blätter und reifen Beeren einen angenehmen Anblick. Er
erfreut uns nicht bloß durch äußere Schönheit, sondern auch durch eine
Fülle wohlschmeckender Früchte.
86. Der Vzerrrsto«L.
Am Tage der Schöpfung rühmten die Bäume gegen einander froh-
lockend ein jeglicher über sein eigenes Dasein. „Mich hat der Herr
gepflanzt," sprach die erhabene Eiche, „Festigkeit und Anmuth,
Stärke und Dauer hat er in mir vereinigt." — „Jehova's Güte
hat mich zum Segen gesetzt," sprach der umschattende Ahorn, „Nutzen
und Schönheit hat er in mir vermählet." — Der Apfelbaum
sprach: „Wie ein Bräutigam unter den Jünglingen, prange ich unter
den Bäumen des Waldes." — Und der Flieder sprach: „Wie un-
ter den Dornen die Rose, stehe ich unter den niedrigen Gesträuchen."
So rühmten alle, der Kirsch- und Pflaumenbaum, selbst die
Fichte und Tanne rühmten.
Der einzige Weinstock schwieg und sank zu Boden. „Mir,"
sprach er zu sich selbst, „scheint alles versagt zu sein: Stamm und Äste,
Blüthen und Früchte; aber so wie ich bin, will ich hoffen und warten."
Er sank darnieder und seine Zweige weinten.
Nicht lange wartete und weinte er, da trat der Mensch zu ihm.
Er sah ein schwaches Geschöpf, ein Spiel der Lüfte, das unter sich sank
und Hülfe begehrte. Mitleidig richtete er's auf und schlang den zarten
Baum an seiner Laube hinauf. Froher spielten anjetzt die Lüfte mit
seinen Reben, die Gluth der Sonne durchdrang seine harten, grünenden
Körner, bereitend in ihnen den grünen Saft, den erheiternden Trank
für die mühbeladenen Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt neigte
bald der Weinstock zu seinem Herrn sich nieder, und dieser kostete sei-
nen erquickenden Saft und nannte ihn seinen Freund, seinen dankbaren
Liebling. Die stolzen Bäume beneideten ihn jetzt; denn viele standen
entfruchtet da. Er aber freute sich voll Dankbarkeit seines geringen
Wuchses, seiner ausharrenden Demuth. Darum erfreut sein Saft noch
jetzt des traurigen Menschen Herz und hebt empor den niedergesunkenen
Muth und erquickt den Betrübten.
Verzage nicht, Verlassener, und harre duldend aus! Im unansehn-
lichen Rohre quillt der süße Saft. Die schwache Rebe gebiert den er-
quickendsten Trank der Erde.
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37. Der Flledersteauch.
Es giebt nicht viele Gewächse auf der Erde, die dem Menschen so
nützlich wären, als der Flieder, dessen grünes Blätterdach mit den
blaßgelben, reichblüthigen Trugdolden uns so oft in der Nähe der
Dörfer, hinter Mauern und Zäunen, entgegenschimmert. Die in der
Jugend grüne, im Alter graue und rissige Rinde, so wie die Blätter
gebraucht man zum Färben, das alte gelbe Holz benutzt der Drechsler
zu allerlei niedlichen Arbeiten,,, und ihr alle wißt, wie nette Knallbüchsen
sich aus den ausgehöhlten Ästen anfertigen lassen. Wird man von
Kopfweh geplagt, so thut ein Umschlag von frischen Blättern des Flie-
ders nicht selten die besten Dienste, und bei Erkältungen ist kaum etwas
besser geeignet, wohlthätigen Schweiß zu erzeugen, als der Genuß des
Fliederthee's oder des Fliedermußes, welches letztere man aus den
reifen schwarzen Beeren bereitet. Der Apotheker gebraucht außerdem
die Wurzel und die innere Rinde der jungen Zweige, und in Schwa-
den tauchen die Leute die ganze Blüthendolde in einen Mehlteig und
verspeisen sie als „Holderkuchle". Summa: es ist nichts am Flieder-
strauch, was nicht der Mensch benutzen könnte, und darum darf es uns
nicht wundern, daß den alten Wenden der Fliederstrauch heilig war.
Auch können wir wohl den Worten jenes narurkundigen Mannes Bei-
fall schenken, der da sagte: „Vor wvem Fueoerstrauche sollte man die
Mütze abnehmen"'
38. Lob der Schönsten.
O Rose, öffne deinen Kelch Vollständig ist kein Blumenstrauß,
Damit wir Wunder seh'n! Bist du nickt auch oabei,
Mit Wohlgeruch bist du erfüllt, Und stnd's dre chönsten Blumen auch
Und dabei auch so schön. Von Farben allerlei
Du, Rose, prangst vor allen holo
In deiner Schwestern Zahl;
Dir gleichet nicht der stolze Mohn,
Das Veilchen nicht im Thal.
Doch hast du auch der Dornen viel,
Die schützen immer dich,
Und wenn ich einst dich pflücken will,
So stechen Dornen mich.
Iii. Kr
39. Die
Und weil du bist so hold und schön,
Sinkt alles vor dich hin
Und pflücket dich aus Lust und nennt
Dich Blumenkönigin.
Wie schön die Knospen um dich her,
Wie schön ein jedes Blatt!
O gütig, gütig muß der sein,
Der dich geschaffen hat.
(Rücksrt.)
a u t e r.
Blumen.
Unter allem, was der Frühling Schönes bringt, ist doch nichts so
schön, als seine Blumen.
Ich begreife nicht, wie man anders kann, als die Blumen lieben.
Wer nicht die Blumen liebt, muß noch nie eine Blume recht betrachtet
haben, oder es muß etwas in ihm sein, was ihn überhaupt der reinen
Liebe unfähig macht.
Welch ein unschuldiges, einfältiges, demüthiges, fröhliches Wesen in
den Blumen!
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das endlich die umgebende Schale zersprengt und hervordringt. Die
Kraft des schwachen Thierchens, womit es hervorbricht, ist bewunderns-
werth. Wie kann doch überhaupt im Ei, das eines Kindes Finger zu
zerdrücken vermag, solches Leben wohnen! Ja, hier ist Gottes Wallen
13. Die Henne.
Der höchsten Liebe Bild, die Henne sieh, die brütet.
Wie mit der Flügel Schild sie ihre Brut behütet.
Sie hat der Küchlein viel, doch jedes ist gezählt,
Und ruhig ist sie nicht, wenn ihr nur eines fehlt.
Versammeln unter sich wird sie den ganzen Haufen
Wie weit auch sich von ihr die Einzelnen verlaufen.
Wie angelegen läßt sie sich es sein zu locken;
Kannst du, verlaufne Brut, dagegen dich verstecken^
Und lockt dich nicht herbei der Mutterliebe Schrei,
So schrecke dich von dort mit dem Gekreisch der Weih.
Kriech unter, und du bist vor dem Gekreisch geborgen,
Und für dein Futter laß der Mutter Liebe sorgen.
(Rückert.)
16. Das Leben der Singvögel.
Die Singvögel leben sehr vergnügt. Ehe sie noch aus dem Et
schlüpfen, ist ihnen schon die Wiege bereitet, in der sie groß gczogev
werden sollen. Denn wenn sie aus dem Ei kommen, sind sie entweder
ganz nackt oder nur mit einem grauen Flaum bedeckt, und können sich
gar nicht helfen. Doch werden sie dann von den Alten sehr sorgfältig
gefüttert. Sie brauchen nichts zu thun, als wenn der Vater oder die
Mutter kommt, ihre gelben Schnäbelcheu aufzusperren und zu zwitschern.
Dazu deckt sie die sorgliche Mutter des Nachts mit ihren Flügeln zu,
daß sie nicht naß werden und frieren. Sind sie flügge geworden, d. h.
sind ihnen die Federn so weit gewachsen, daß sie fliegen können, so
verlassen sie das Nest und setzen sich auf einen Strauch oder Baum,
freuen sich im Sonnenschein und warten, bis ihnen der Vater oder die
Mutter ein Würmlein, eine Mücke oder ein Käferlein bringt und in
den Schnabel steckt. Denn sich ihre Nahrung selber zu suchen, dazu
sind sie noch zu einfältig. Haben sie endlich auch das gelernt, und
kommt der Winter herbei, so ziehen sie in zahlreicher Gesellschaft, oder
auch einzeln fort, um wärmere Gegenden aufzusuchen und da zu war-
ten, bis der Winter vorbei ist. Wenn dann die Knospen der Bäume
schwellen, wenn die Büsche und Hecken grün werden, ziehen sie wieder
in ihre alte Heimath. Sie verkündigen uns dann durch ihre Wieder-
kunft den Frühling. Da trifft sie indessen manchmal ein Unglück. Sie
lassen sich nämlich bisweilen von warmer Witterung verleiten, zu bald
auf die Reise zu gehen. Kommen dann im März oder April noch kalte
Tage mit Schnee und Frost, so müffen gar manche von den armen
Wanderern erfrieren oder verhungern. Bleibt aber das Wetter warm,
so schlagen sie in einem grünen Busch oder auf einem blühenden Baume
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Beeren trug, welche sich täglich mehr rötheten und jetzt wie Rubinen
glänzen. Ist es nicht, als ob das Pstänzchen mir für meine Sorgfalt
dankbar sein wollte? —
Willst Du es selbst sehen und meine Freude theilen, so besuche
nur bald
Deine
N. Marie Blumenreich.
89, Harrf und Flachs.
Diese beiden Gewächse, welche in Deutschland fast allenthalben an-
gebaut werden, verdanken ihre Verbreitung weder ihrer Mühe, noch
ihren Früchten, sondern ihrem Stengel. Dieser enthält nämlich zähe
Fasern (Bast), welche, nachdem sie von den spröden, holzigen Schalen
befreit sind, biegsame Fäden geben, die sich spinnen lassen. Welchen
unendlichen Nutzen diese gewähren, kann sich jeder selbst aufzählen, wenn
er an die Waaren des Seilers, an die Fäden, von dem Pech-
vrathe des Schusters bis zu dem Zwirn der Nätherin, an die
Leinwand von dem groben Packtuche bis zu dem feinsten Battist
denkt. Zwar hat man in neuerer Zeit die ausländische Baumwolle
vielfach an die Stelle des Flachses gesetzt, aber das feinste und
dauerhafteste Gewebe bleibt immer die Leinwand. Der Hans hat
den Vorzug größerer Festigkeit und Dauerhaftigkeit, aber Feinheit und
Schönheit bleibt aus der Seite der flächsencn (leinenen) Gespinnste.
Und wie viele Personen finden Arbeit und Verdienst bei der Behand-
lung dieser beiden Gewächse! Der Bauer, welcher pflügt und säet, die
Weiber, welche die Winterabende durch Spinnen und Haspeln kürzen,
im Herbste brechen, schwingen und hecheln, im Sommer das gefertigte
Tuch bleichen, die Weber, welche spulen, zetteln und weben, die Färber,
welche dem Garn oder der Leinwand eine andere Farbe geben: alle
haben ihren Vortheil von dem Anbau dieser Pflanzen, den Seiler gar
nicht gerechnet. Dazu kommt, daß Hanf und Flachs öligen Samen
bringen, welcher sich mannigfaltig benutzen läßt, der Hans mehr als
Futter für im Käfich gehaltene Vögel, der Lein aber zu Öl. Zwar
hat das Leinöl nicht den guten „Geschmack des Mohnöls, des Nußöls
u. s. w., allein zu Firniß und Ölfarbe ist es unter allen das brauch-
barste. Und der Flachs trägt reichlich. Aus seinen blauen Blüthen
bilden sich erbsengroße Knoten, in deren Fächern die platten Leinkörn-
chen in Menge sitzen. Wenn die Sonne die Knoten gesprengt hat,
fallen die Körnchen meistens von selbst heraus, doch hilft man durch
Dreschen noch nach. Obgleich die Arbeit bei dem Bau und der Zu-
bereitung des Flachses nicht leicht ist, so herrscht doch gewöhnlich große
Fröhlichkeit dabei, freilich bisweilen auch Leichtsinn, indem man bei dem
Dörren mit dem Feuer nicht vorsichtig umgeht. Es find schon ganze
Ortschaften dadurch, in Feuersnoth gekommen.
So groß die Ähnlichkeit in der Behandlung des Hanfes und Flachses
ist, jo ungleich sind die Pflanzen selbst. An dem Hanf ist alles größer
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T15: [Wein Getreide Baumwolle Tabak Kaffee Obst Weizen Reis Zucker Kartoffel]]
TM Hauptwörter (100): [T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T79: [Wein Zucker Baumwolle Kaffee Getreide Tabak Fleisch Holz Wolle Handel], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch]]
TM Hauptwörter (200): [T113: [Wein Seide Baumwolle Handel Zucker Kaffee Wolle Tabak Reis Getreide], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T1: [Maschine Fabrik Herstellung Industrie Papier Leder Wolle Leinwand Fabrikation Art], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
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sich der Samenkeim entwickelt und erst fertrg ist, wenn der Fruchtknoten
zu einer großen, runden, fleischigen Beere angeschwollen ist, in welcher
die Eierchen nun als Samen stecken. Diese Beere allein ist die rechte
Kartoffelfrncht, welche auch der Freund, dem Drake einige Kartoffeln
zur Aussaat nach Europa geschickt hatte, für dasjenige hielt, was höchst
schmackhaft sein sollte. Er hatte die Knollen in die Erde gesteckt, und
da es nun Herbst war und die Samenäpfel gelb wurden, lud er eine
Menge vornehmer Herren zu seinem Gastmahle ein, wobei es hoch her-
ging. Am Ende kam auch eine zugedeckte Schüssel. Der Hausherr
stand auf und hielt eine schöne Rede an die Gäste, worin er diesen
sagte, er habe hier die Ehre, ihnen eine Frucht mitzutheilen, wozu er
den Samen von seinem Freunde, dem berühmten Drake, mit der Ver-
sicherung erhalten hätte, daß ihr Anbau für England höchst wichtig
werden könne. Die Herren kosteten nun die Frucht, die in Butter ge-
backen und mit Zucker und Zimmet bestreut war, aber sie schmeckte ab-
scheulich. Darauf urtheilten sie alle, die Frucht könne wohl für Amerika
gut sein, aber in England werde sie nicht reif. Da ließ denn der
Gutsherr einige Zeit nachher die Kartoffelsträucher herausreißen und wollte
sie wegwerfen lassen. Aber eines Morgens im Herbste ging er durch
seinen Garten und sah in der Asche eines Feuers, das sich der Gärtner
angemacht hatte, schwarze, runde Knollen liegen; >er zertrat einen, und
siehe, der duftete so lieblich, daß er den Gärtner fragte, was das für
Knollen wären. Dieser sagte, daß sie unten an der Wurzel des frem-
den Gewächses gehangen hatten. Nun ging dem Herrn erst das
rechte Licht auf. Er ließ die Knollen sammeln, zubereiten und lud
dann seine Freunde wieder zu Gaste. Diesen schmeckte das Mahl vor-
trefflich, und sie wurden inne, wie sehr der Mensch irren kann, wenn
er nur nach dem urtheilt, was an der Oberfläche ist.
Wir kehren indeß zu unserer Kartoffelblüthe zurück. Wenn ihr die
einzelnen Theile derselben genauer ansehet, so werdet ihr finden, daß
die Theile des Kelches,, der Blumenkrone und die Staubbeutel
in gleicher Anzahl vorhanden sind. Fünf am Grunde verwachsene Blät-
ter bilden den Kelch, fünf ebenfalls unten mit einander verbundene die
Blumenkrone, und fünf haben sich zu Staubfäden gestaltet.
Die Kartoffel habt ihr nun schon''manches Jahr genossen, und viele
Menschen hat sie vielleicht fast allein erhalten. Doch setzen wir uns
gedankenlos so oft zu Tische, doch lassen wir uns so oft munden Speis'
und Trank, ohne daß wir uns die Frage vorlegen: Wie kommt es
denn eigentlich, du guter Gott, daß diese Knollen im Stande sind, uns
zu ernähren? Solch eine Frage bei Tische ist auch ein stilles Gebet,
weil es zum Vater führt; aber Klatschereien über den Nächsten führen
nicht dahin. Wenn ihr auf eurem Teller eine Kartoffel zerschneidet, so
bemerkt ihr an eurem Messer eine mehlartige Masse. Diese nennt man
das Stärkemehl. Wenn ditz Frau Mutter einmal die rohen Kartof-
feln zerreibt, um daraus die Kartoffelklöße zu verfertigen, und ihr euch
dazugesellt aus Neugierde und Ungeduld, daß sie nicht gleich fertig sind,^
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Drake
Extrahierte Ortsnamen: Europa England Amerika England